Hallo ihr Lieben,
In 25 Stunden ist es
soweit und ich betrete den Flieger, der mich wieder nach Deutschland
bringen wird. In 2 Tagen stehe ich in meiner neuen Wohnung in
Holzminden, wo ich ab Oktober, nebenbei erwähnt, Green Building
studieren werde. Ich habe einen Praktikumsplatz, die verbleibende
Zeit im Haus meiner Eltern ist verplant – und dennoch war ich noch
nie so „unbereit“ zu gehen, wie heute. Ich sitze in meinem
geputzten Zimmer auf gepackten Koffern. Mein mosambikanisches Leben
habe ich in nur 2 Gepäckstücke verstauen können. Die große, mir
am schwersten fallende Verabschiedung von meiner Gastfamilien,
unseren Nachbarn und meinen engsten Freunden steht mir noch bevor.
Zum letzten Mal habe ich in den vergangen zwei Nächte mit allen
zusammen gesessen, über das vergangene Jahr geredet und gefeiert.
Alles „zum letzten Mal“ tun zu müssen fällt schwer, ist kaum
auszuhalten und seit einigen Tagen möchte ich eigentlich nur noch
durchweinen. Entschuldigt, dass ich mich in letzter Zeit bei so
vielen Menschen nicht regelmäßig gemeldet habe, aber die letzten
Wochen waren die intensivsten meines Abenteuers – ein Abenteuer,
welches zu einem neuen Leben geworden ist.
Da ich diesen Eintrag
nicht unnötig in die Länge ziehen möchte und meinen letzten Tag
somit verschwenden würde, könnt ihr euch nun meinen offiziellen
Abschlussbericht lesen, den ich für meine Organisation ICJA e.V. und
das BMZ als Gegenleistung für meine Unterstützung schreiben muss.
Bei diesen Berichten gibt es viele spezielle Fragen, weshalb sich der
Text nicht sehr flüssig lesen mag. Allerdings war ich abschließend
noch einmal sehr ehrlich und habe mir endlich ans Herz gefasst und
die Zeit genommen, aufrichtig vor allem über mein Projekt zu
berichten. Aber nun lest selbst!
Abschlussbericht
– 1 Jahr Mosambik
Ich kann das nicht.
Abschied nehmen, ein letztes Mal offiziell dieses Jahr
zusammenfassen. Es war für mich nicht nur ein
entwicklungspolitischer Freiwilligendienst, sondern so viel mehr. Ich
lebe hier, habe meine mosambikanische Familie gefunden und kann mir
nur schwer vorstellen, dem allen morgen „Auf Wiedersehen“ zu
sagen. Doch ja, wiedersehen werde ich meine neue Heimat schon sehr
bald!
Das Jahr hat mich auf
persönlicher Ebene deutlich mehr gelehrt als auf fachlicher. Auch,
wenn ich besser im Umgang mit bzw. mit der Beschäftigung von Kindern
(vor allem Kleinkindern) geworden bin und immer eine wichtige
Ansprechperson für die Mädchen darstellte, so weiß ich, dass es
nicht meine Arbeit war, die mein Jahr hier ausschlaggebend zu dem
gemacht hat, was es nun ist.
Es sind so viele
Kleinigkeiten, die mich mein Leben in Maputo auf persönlicher Ebene
gelehrt hat:
- (Beschränkte) Unpünktlichkeit ist in Ordnung, denn man muss der Zeit nicht immer hinterher rennen.
- Jeder kann Fehler machen, keiner ist perfekt.
- Wenn du Lust auf etwas hast, dann mach es und lass es dir von niemanden ausreden.
- Es sind die kleinen Momente, die das Leben ausmachen.
- Ich kann und sollte meine neu gewonnene Selbstständigkeit in vollen Zügen genießen.
- Nur selbstbewusst kann man erfolgreich durchs Leben gehen.
- Spontanität wird mit den schönsten und unerwartetsten Momenten/Erlebnissen belohnt.
Oder um es zusammen zu
fassen: Der Weg ist das Ziel, und ankommen will ich nicht mehr. Ich
habe mich verliebt, ins Reisen, in Abenteuer, in Spontanität und
Gelassenheit.
In diesem Sinne habe ich
mich auf interkultureller Ebene insgesamt wohl ziemlich entwickelt;
ich bin noch mosambikanischer geworden, vor allem was Themen wie
Zeit, Geduld, Wertvorstellungen und Luxus angeht. Ich habe innerhalb
eine neue Sprache gelernt, und das besser, als ich je gedacht hätte!
Mit dem Thema „Projekt
REMAR“ muss ich trotz all der Lobeshymnen an meinen Aufenthalt hier
den negativen Teil des Berichts beginnen, doch zuerst einmal
generell.
Als Freiwillige im
Zentrum in Liberdade der Organisation REMAR sollten grundlegend immer
mindestens zwei Freiwillige arbeiten. Nur so ist es möglich, die 70
Babys, Kinder und Frauen in Gruppen zu organisieren, kleinere
Aktivitäten, wie Basteln, Singen, „Sport“ (platzbedingt nur sehr
schwer möglich) und vor allem eine Hausaufgabenhilfe für die
Schulkinder ein- und durchzuführen. Hier ist Kreativität und
Durchhaltevermögen gefragt. Man muss sich von Anfang an Respekt
verschaffen – ein Ziel, welches ich bis zum letzten Tag nicht
erreicht habe.
Was die Teamarbeit angeht
kann ich nicht viel berichten – da es einfach gesagt kein Team
gibt. Neben Hannah (Freiwillige Winterausreise Januar 2015) und mir
ist zu 80% unserer Arbeitszeit keine weitere verantwortliche Person
im Zentrum. Dadurch übernehmen die jugendlichen Mädchen die
Führung, worunter die Kinder leiden und auch keine Erziehung
stattfinden kann. Allerdings war letzterer Punkt auch mit anwesenden
Verantwortlichen nie zu erkennen. Sind die Freiwilligen allein im
Zentrum, herrscht oft ein unbeschreibliches Chaos, was nur mit Hilfe
der Jugendlichen Mädchen einzuschränken ist. Diese Hilfe nehme ich
nicht gern an, denn es beschämt und deprimiert mich, dass ich es bis
heute nicht geschafft habe, mir den nötigen Respekt zu verschaffen –
aber so läuft das anscheinend, wenn man nicht bereit ist, die Kinder
zur Strafe zu schlagen.
Über das ganze Jahr
hinweg hatte ich ebenso das Gefühl, als würde es, bis auf unsere
süßen Kinder, die einen jeden Tag zum lachen bringen und genauso
zurück strahlen, niemanden interessieren, dass wir überhaupt für
REMAR arbeiten. Im März kam ein neuer Pastor mit seiner Familie an
die Spitze der Organisation – bis heute haben wir Freiwilligen
unseren neuen Chef, der er nun einmal ist, nur einmal im Fernsehen
gesehen, wie er die Arbeit REMARs in allen Tönen lobt. Es scheint,
als wäre das Interesse nicht da, wenn er überhaupt weiß, dass es
in Liberdade zwei Mädchen gibt, die jeden Tag mit neuen Ideen den
Tag der Kinder verschönern wollen. Für die Kinder und mich war mein
Abschied vor zwei Wochen schwer, doch ich habe mich nicht von REMAR
verabschieden müssen – dort war ich gefühlsmäßig nämlich nie
angekommen. Ich fühlte mich nie wohl, nie als Teil eines Projektes,
dem alles daran liegt, Waisen- und kranken Kindern und Frauen mit
Drogenproblemen zu helfen. Eher fühlte ich mich gefangen in einer
„Sekte“, die Spendengelder in falsche Hände fließen lassen und
wo Kinder jeden Tag den gleichen widerlichen, schlecht aufbewahrten
Fisch zu Gesicht bekommen – und nein, ich übertreibe nicht, das
ist die traurige Wahrheit. Bis heute weiß ich ehrlich gesagt nicht,
was REMAR eigentlich genau ist, was in allen Zentren getan wird
geschweige denn wo es noch weitere Standorte in Mosambik gibt. Diese
Fakten haben mich in meiner letzten Arbeitsperiode immer wieder
begleitet, als ich darüber nachgedacht habe, inwiefern sich meine
Vorstellungen erfüllt haben: Leider gar nicht.
Ich habe mein Jahr hier
durchgezogen, was das Projekt angeht, möchte auch nicht zu negativ
von allem berichten, aber dennoch bin ich der Meinung, dass das
Projekt REMAR nicht geeignet für Freiwillige ist. Natürlich
bereitet man den Kindern wie schon gesagt jeden Tag eine riesige
Freude, allerdings wiegt der Punkt der nicht mal ansatzweise
bestehenden Anerkennung zu schwer dagegen. Ich liebe die Kids, hätte
sie am liebsten nie wieder losgelassen oder würde noch so gern so
viele spannende, ausführliche, ehrliche Gesprächen mit den Mädchen
führen, doch dennoch ist es nicht das, was meinen Freiwilligendienst
im Punkte der Arbeit zu einem unvergesslichen Erlebnis hat werden
lassen.
In ganz anderen Tönen
kann ich bis zum Schluss von meiner Gastsituation berichten. Ich bin
innerhalb der letzten 12 Monate zu einem Teil der Familie geworden,
werde „Filha“ (Tochter) oder „Mana“ (Schwester) genannt. Für
meinen Abschied morgen haben sich alle freigenommen, begleiten mich
zum Flughafen. Auch schmieden sie schon jetzt Pläne für meinen
ersten Urlaub in Mosambik genauso wie sie anfangen, Geld zu sparen,
um mich besuchen zu kommen. Ich konnte mich meiner Meinung nach
komplett sozial integrieren, fühle und verhalte mich wie „daheim“
– Wo war das noch gleich?
Abschließend betrachtet:
Meine eigentlichen Erwartungen wurden zu vielleicht 20% erfüllt, in
anderen, neuen Apsekten, an die ich vorher nie denken konnte, wurden
sie ums Tausendste übertroffen! Meine Arbeit entsprach nicht meinen
Vorstellungen, allerdings habe ich portugiesisch fließend sprechen
gelernt, konnte mich in eine neue, mir total unbekannte Kultur
integrieren und habe ein eigenes Leben aufgebaut. Meiner Meinung nach
rücken alle Erwartungen in den Hintergrund, wenn man alle neu
erhaltenen persönlichen Erfahrungen dagegen erkennt!
Seitens unserer hier
verantwortlichen Organisation AJUDE war die Unterstützung eher
eingeschränkt und dennoch hatte ich nie ein hilfloses, verlorenes
Gefühl. Nur in Bezug auf das Projekt hätte ich mir innerhalb des
Jahres auch von dieser Seite mehr Unterstützung erhofft.
Final gesehen hätte ich
mich mehr ins Projekt einbringen können, oder müssen. Doch wie,
wenn Motivation verloren geht und Anerkennung/Bedeutung nie gezeigt
wird? Ein für mich schwieriger Punkt… Zudem hätte ich mir
rückblickend ein noch sozialeres Leben aufbauen können, indem ich
Hobbies, wie die mosambikanische Tanzgruppe (hat sich im Februar aus
Platzgründen auflösen müssen) weiter und intensiver verfolgt
hätte. Generell würde ich, hätte ich die Möglichkeit, noch einmal
von vorn anzufangen, nicht so schnell aufgeben, sei es im Projekt
oder im Alttag. Mittlerweile weiß ich, dass alles gut wird, wenn man
es nur durchzieht, sich einen Ruck gibt. Dennoch bin ich der Meinung
ich habe das für mich Beste aus diesem Jahr geholt, habe es in
vollen Zügen genossen und bin einfach nicht bereit, jetzt Abschied
zu nehmen.
Danke,
Obrigada, Khanimambo – Mocambique, minha nova terra!
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Wir sehen uns in Deutschland, meine Lieben.
Eure Anni :)