Von August 2014 bis Juli 2015 habe ich in Mosambik gelebt und gearbeitet. Auf diesen Seiten werde ich von einige Eindrücke und Erfahrungen von meinem Freiwilligendienst in Maputo, der Hauptstadt, berichten. Bitte bedenkt, dass lediglich meine persönliche Sicht auf die Dinge hier zu lesen sein wird und dies nicht zu verallgemeinern ist! Es freut mich, dass ihr hier her gefunden habt!

Sonntag, 26. Juli 2015

Ein letztes Mal...

Hallo ihr Lieben,

In 25 Stunden ist es soweit und ich betrete den Flieger, der mich wieder nach Deutschland bringen wird. In 2 Tagen stehe ich in meiner neuen Wohnung in Holzminden, wo ich ab Oktober, nebenbei erwähnt, Green Building studieren werde. Ich habe einen Praktikumsplatz, die verbleibende Zeit im Haus meiner Eltern ist verplant – und dennoch war ich noch nie so „unbereit“ zu gehen, wie heute. Ich sitze in meinem geputzten Zimmer auf gepackten Koffern. Mein mosambikanisches Leben habe ich in nur 2 Gepäckstücke verstauen können. Die große, mir am schwersten fallende Verabschiedung von meiner Gastfamilien, unseren Nachbarn und meinen engsten Freunden steht mir noch bevor. Zum letzten Mal habe ich in den vergangen zwei Nächte mit allen zusammen gesessen, über das vergangene Jahr geredet und gefeiert. Alles „zum letzten Mal“ tun zu müssen fällt schwer, ist kaum auszuhalten und seit einigen Tagen möchte ich eigentlich nur noch durchweinen. Entschuldigt, dass ich mich in letzter Zeit bei so vielen Menschen nicht regelmäßig gemeldet habe, aber die letzten Wochen waren die intensivsten meines Abenteuers – ein Abenteuer, welches zu einem neuen Leben geworden ist.
Da ich diesen Eintrag nicht unnötig in die Länge ziehen möchte und meinen letzten Tag somit verschwenden würde, könnt ihr euch nun meinen offiziellen Abschlussbericht lesen, den ich für meine Organisation ICJA e.V. und das BMZ als Gegenleistung für meine Unterstützung schreiben muss. Bei diesen Berichten gibt es viele spezielle Fragen, weshalb sich der Text nicht sehr flüssig lesen mag. Allerdings war ich abschließend noch einmal sehr ehrlich und habe mir endlich ans Herz gefasst und die Zeit genommen, aufrichtig vor allem über mein Projekt zu berichten. Aber nun lest selbst!


Abschlussbericht – 1 Jahr Mosambik

Ich kann das nicht. Abschied nehmen, ein letztes Mal offiziell dieses Jahr zusammenfassen. Es war für mich nicht nur ein entwicklungspolitischer Freiwilligendienst, sondern so viel mehr. Ich lebe hier, habe meine mosambikanische Familie gefunden und kann mir nur schwer vorstellen, dem allen morgen „Auf Wiedersehen“ zu sagen. Doch ja, wiedersehen werde ich meine neue Heimat schon sehr bald!

Das Jahr hat mich auf persönlicher Ebene deutlich mehr gelehrt als auf fachlicher. Auch, wenn ich besser im Umgang mit bzw. mit der Beschäftigung von Kindern (vor allem Kleinkindern) geworden bin und immer eine wichtige Ansprechperson für die Mädchen darstellte, so weiß ich, dass es nicht meine Arbeit war, die mein Jahr hier ausschlaggebend zu dem gemacht hat, was es nun ist.
Es sind so viele Kleinigkeiten, die mich mein Leben in Maputo auf persönlicher Ebene gelehrt hat:
  • (Beschränkte) Unpünktlichkeit ist in Ordnung, denn man muss der Zeit nicht immer hinterher rennen.
  • Jeder kann Fehler machen, keiner ist perfekt.
  • Wenn du Lust auf etwas hast, dann mach es und lass es dir von niemanden ausreden.
  • Es sind die kleinen Momente, die das Leben ausmachen.
  • Ich kann und sollte meine neu gewonnene Selbstständigkeit in vollen Zügen genießen.
  • Nur selbstbewusst kann man erfolgreich durchs Leben gehen.
  • Spontanität wird mit den schönsten und unerwartetsten Momenten/Erlebnissen belohnt.

Oder um es zusammen zu fassen: Der Weg ist das Ziel, und ankommen will ich nicht mehr. Ich habe mich verliebt, ins Reisen, in Abenteuer, in Spontanität und Gelassenheit.
In diesem Sinne habe ich mich auf interkultureller Ebene insgesamt wohl ziemlich entwickelt; ich bin noch mosambikanischer geworden, vor allem was Themen wie Zeit, Geduld, Wertvorstellungen und Luxus angeht. Ich habe innerhalb eine neue Sprache gelernt, und das besser, als ich je gedacht hätte!

Mit dem Thema „Projekt REMAR“ muss ich trotz all der Lobeshymnen an meinen Aufenthalt hier den negativen Teil des Berichts beginnen, doch zuerst einmal generell.
Als Freiwillige im Zentrum in Liberdade der Organisation REMAR sollten grundlegend immer mindestens zwei Freiwillige arbeiten. Nur so ist es möglich, die 70 Babys, Kinder und Frauen in Gruppen zu organisieren, kleinere Aktivitäten, wie Basteln, Singen, „Sport“ (platzbedingt nur sehr schwer möglich) und vor allem eine Hausaufgabenhilfe für die Schulkinder ein- und durchzuführen. Hier ist Kreativität und Durchhaltevermögen gefragt. Man muss sich von Anfang an Respekt verschaffen – ein Ziel, welches ich bis zum letzten Tag nicht erreicht habe.
Was die Teamarbeit angeht kann ich nicht viel berichten – da es einfach gesagt kein Team gibt. Neben Hannah (Freiwillige Winterausreise Januar 2015) und mir ist zu 80% unserer Arbeitszeit keine weitere verantwortliche Person im Zentrum. Dadurch übernehmen die jugendlichen Mädchen die Führung, worunter die Kinder leiden und auch keine Erziehung stattfinden kann. Allerdings war letzterer Punkt auch mit anwesenden Verantwortlichen nie zu erkennen. Sind die Freiwilligen allein im Zentrum, herrscht oft ein unbeschreibliches Chaos, was nur mit Hilfe der Jugendlichen Mädchen einzuschränken ist. Diese Hilfe nehme ich nicht gern an, denn es beschämt und deprimiert mich, dass ich es bis heute nicht geschafft habe, mir den nötigen Respekt zu verschaffen – aber so läuft das anscheinend, wenn man nicht bereit ist, die Kinder zur Strafe zu schlagen.
Über das ganze Jahr hinweg hatte ich ebenso das Gefühl, als würde es, bis auf unsere süßen Kinder, die einen jeden Tag zum lachen bringen und genauso zurück strahlen, niemanden interessieren, dass wir überhaupt für REMAR arbeiten. Im März kam ein neuer Pastor mit seiner Familie an die Spitze der Organisation – bis heute haben wir Freiwilligen unseren neuen Chef, der er nun einmal ist, nur einmal im Fernsehen gesehen, wie er die Arbeit REMARs in allen Tönen lobt. Es scheint, als wäre das Interesse nicht da, wenn er überhaupt weiß, dass es in Liberdade zwei Mädchen gibt, die jeden Tag mit neuen Ideen den Tag der Kinder verschönern wollen. Für die Kinder und mich war mein Abschied vor zwei Wochen schwer, doch ich habe mich nicht von REMAR verabschieden müssen – dort war ich gefühlsmäßig nämlich nie angekommen. Ich fühlte mich nie wohl, nie als Teil eines Projektes, dem alles daran liegt, Waisen- und kranken Kindern und Frauen mit Drogenproblemen zu helfen. Eher fühlte ich mich gefangen in einer „Sekte“, die Spendengelder in falsche Hände fließen lassen und wo Kinder jeden Tag den gleichen widerlichen, schlecht aufbewahrten Fisch zu Gesicht bekommen – und nein, ich übertreibe nicht, das ist die traurige Wahrheit. Bis heute weiß ich ehrlich gesagt nicht, was REMAR eigentlich genau ist, was in allen Zentren getan wird geschweige denn wo es noch weitere Standorte in Mosambik gibt. Diese Fakten haben mich in meiner letzten Arbeitsperiode immer wieder begleitet, als ich darüber nachgedacht habe, inwiefern sich meine Vorstellungen erfüllt haben: Leider gar nicht.
Ich habe mein Jahr hier durchgezogen, was das Projekt angeht, möchte auch nicht zu negativ von allem berichten, aber dennoch bin ich der Meinung, dass das Projekt REMAR nicht geeignet für Freiwillige ist. Natürlich bereitet man den Kindern wie schon gesagt jeden Tag eine riesige Freude, allerdings wiegt der Punkt der nicht mal ansatzweise bestehenden Anerkennung zu schwer dagegen. Ich liebe die Kids, hätte sie am liebsten nie wieder losgelassen oder würde noch so gern so viele spannende, ausführliche, ehrliche Gesprächen mit den Mädchen führen, doch dennoch ist es nicht das, was meinen Freiwilligendienst im Punkte der Arbeit zu einem unvergesslichen Erlebnis hat werden lassen.

In ganz anderen Tönen kann ich bis zum Schluss von meiner Gastsituation berichten. Ich bin innerhalb der letzten 12 Monate zu einem Teil der Familie geworden, werde „Filha“ (Tochter) oder „Mana“ (Schwester) genannt. Für meinen Abschied morgen haben sich alle freigenommen, begleiten mich zum Flughafen. Auch schmieden sie schon jetzt Pläne für meinen ersten Urlaub in Mosambik genauso wie sie anfangen, Geld zu sparen, um mich besuchen zu kommen. Ich konnte mich meiner Meinung nach komplett sozial integrieren, fühle und verhalte mich wie „daheim“ – Wo war das noch gleich?

Abschließend betrachtet: Meine eigentlichen Erwartungen wurden zu vielleicht 20% erfüllt, in anderen, neuen Apsekten, an die ich vorher nie denken konnte, wurden sie ums Tausendste übertroffen! Meine Arbeit entsprach nicht meinen Vorstellungen, allerdings habe ich portugiesisch fließend sprechen gelernt, konnte mich in eine neue, mir total unbekannte Kultur integrieren und habe ein eigenes Leben aufgebaut. Meiner Meinung nach rücken alle Erwartungen in den Hintergrund, wenn man alle neu erhaltenen persönlichen Erfahrungen dagegen erkennt!
Seitens unserer hier verantwortlichen Organisation AJUDE war die Unterstützung eher eingeschränkt und dennoch hatte ich nie ein hilfloses, verlorenes Gefühl. Nur in Bezug auf das Projekt hätte ich mir innerhalb des Jahres auch von dieser Seite mehr Unterstützung erhofft.
Final gesehen hätte ich mich mehr ins Projekt einbringen können, oder müssen. Doch wie, wenn Motivation verloren geht und Anerkennung/Bedeutung nie gezeigt wird? Ein für mich schwieriger Punkt… Zudem hätte ich mir rückblickend ein noch sozialeres Leben aufbauen können, indem ich Hobbies, wie die mosambikanische Tanzgruppe (hat sich im Februar aus Platzgründen auflösen müssen) weiter und intensiver verfolgt hätte. Generell würde ich, hätte ich die Möglichkeit, noch einmal von vorn anzufangen, nicht so schnell aufgeben, sei es im Projekt oder im Alttag. Mittlerweile weiß ich, dass alles gut wird, wenn man es nur durchzieht, sich einen Ruck gibt. Dennoch bin ich der Meinung ich habe das für mich Beste aus diesem Jahr geholt, habe es in vollen Zügen genossen und bin einfach nicht bereit, jetzt Abschied zu nehmen.


Danke, Obrigada, Khanimambo – Mocambique, minha nova terra!

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Wir sehen uns in Deutschland, meine Lieben.

Eure Anni :)

Mittwoch, 8. Juli 2015

341 Nächte... Sentimentale Gedanken.

Hallo ihr Lieben,

Dieses Mal ist es also wirklich 4 Wochen her und ja, ich fühle mich schuldig. Ich sitze mittlerweile nicht mehr nur im Gedanken auf gepackten Koffern sondern so allmählich auch in der Realität. Noch 19 Tage, 18 Mal noch die Augen schließen. Ich fange an, wieder über Deutschland und auch auf deutsch zu träumen. Meine Klamotten sind aussortiert: Einige im Projekt, andere im Koffer und die letzten noch in meiner Kommode. Noch zieren die vielen Bilder meine Zimmerwand, noch kann ich nicht aufhören, meine Wäsche zu waschen und auch, wenn mir noch etwas Zeit bleibt, so reicht das hinten und vorn schon lange nicht mehr aus. Meine obligatorische „To-Do-Liste“ wird immer länger, als dass sie sich leert, die Einkaufsliste platzt aus allen Nähten und auch mein Kopf und Herz bekommen nicht mehr alles geordnet. Was in den letzten Wochen alles passiert ist, kann ich euch demnach nicht ansatzweise so detailliert beschreiben, wie ihr es gewohnt seid. Ein „Auszeit-Wochenende“ im Paradies Quissico, Masseneinkäufe auf dem Kunstmarkt, die den Rahmen schon jetzt deutlich sprengen, Nachmittage beim Schneider, die letzten Tage auf der Arbeit, erste sehr schwere Abschiede von so liebgewonnenen Menschen. So langsam zersplittert mein Leben hier: Ich möchte gar nicht wissen, wen und was ich unbewusst schon ein letztes Mal gesehen oder getan habe; alles scheint in verschiedene Richtungen zu treiben – voran oder eben noch einmal kurz zurück in die Heimat, bevor das nächste Kapitel geschrieben wird. Bei mir öffnet sich in 3 Wochen die Tür in das Studentenleben und auch wenn ich weiß, dass ich dieses Jahr abschließen muss, so werde ich den Schlüssel der Tür meines Jahres in Mosambik nie im Schloss umdrehen können – und wollen. Ich weiß, dass ich ganz bald wieder komme.
Familie, Freunde, Freizeit – AUSZEIT. Auch, wenn ich mich von dieser ganzen „Freiwilligenjahr-Sache“ wohl wesentlich mehr und Anderes erhofft habe, so gewinne ich doch eigentlich viel mehr: eine neue Heimat.

Heimat ist, wo dein Herz ist.“

und meins zerreißt gerade sehr schmerzhaft. Man muss wohl schauen, wie man auf Dauer einen Kompromiss finden kann…
Nur noch ein letzter Arbeitstag liegt vor mir und auch, wenn das jetzt vielleicht merkwürdig klingt, freue ich mich, bald aufzuhören. In den letzten 2 bis 3 Wochen sind noch einmal unschöne Dinge passiert, die natürlich dennoch nichts daran ändern können, dass ich meine kleinen Schätze schrecklich vermissen werde – Danke, dass ihr es jeden Tag schafft, mir ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern!
So sehr mich das Reisefieber in diesem Jahr auch gepackt hat (ich denke, das haben die fleißigen Dauerleser deutlich gemerkt), so bleibe ich Maputo (bis auf einen kleinen letzten Wochenend-Abstecher ins schöne Swazi) für den Rest meiner Zeit in Mosambik treu. Noch ein letztes Mal den lauten, staubigen Alltag der Straße aufsaugen, mich mit meiner Gastmutter streiten und am nächsten Tag so tun, als wäre nichts passiert. Noch ein Mal mit den Mädels richtig feiern, die letzten Nächten in unserem Appartement schlafen. Den letzten Hamburger in Museu essen, die letzte viel zu süße Fanta trinken. Die letzten Einläufe erledigen, die verbliebenen Capulanas nach Chopal zum Schneider bringen. Noch ein letztes Mal „mosambikanisch“ fühlen, das letzte portugiesische Wort sprechen. Die Liste nimmt kein Ende.

Doch wisst ihr was? Ich freue mich auf Deutschland, darauf, meine alte Heimat wieder neu für mich zu entdecken. Ich freue mich auf den kleinen Luxus, wie fließendes warmes Wasser, Waschmaschinen, eine konstante Energie- und eine ausgezeichnete medizinische Versorgung – diese Privilegien sollten wir uns viel öfter vor Augen führen.
Die Freude, bei den bei euch zur Zeit herrschenden Temperaturen mit dem Fahrrad zum Straussee zu fahren oder mir den Wind auf meinem Roller um die Ohren wehen zu lassen, lässt mich an den kalten Abenden hier vor mich her schmunzeln. Ich freue mich auf überbackenen, zerfließenden Käse, Nutella, saure Knoblauchgurken, Schnitzeln, Currywurst, Nudelsalat, Gummibärchen und Mamas selbstgemachte Erdbeermarmelade. Ich freue mich auf euch, meine Familie, meine Freunde – meine eben andere, alte Heimat.

Ja, darauf freue ich mich und ich finde, dass Leid und Freud sich so langsam die Waage halten.

Das soll es für heute schon wieder gewesen sein. Kein detaillierter Tages- bzw. Wochenrückblick. Dieses Mal eben etwas Abschiedsschmerz und hin- und her rennende Gedanken. Doch seid euch einer Sache sicher: Der letzte Eintrag (den ich hoffentlich noch aus Mosambik schaffe zu schreiben) wird am schlimmsten.

Ich vermisse euch, freue mich auf euch, möchte eigentlich gar nicht los und schließe in wenigen Stunden zum dreihunderteinundvierzigsten Mal meine Augen in Mosambik.


Eure Anni :)
Der 3. Geburtstag von Aillen in ihrer Vorschule

Mosambik feiert 40 Jahre Unabhängigkeit im Estadio da Machava